HYPOTHESEN ZUR HERKUNFTSDEUTUNG EINIGER MUNDARTLICHER WÖRTER NORDWESTLIVLANDSZusammenfassungIm Beitrag werden einige bisher nicht etymologisierte bzw. weniger etymologisierte Wörter betrachtet, die ...in einem der Kontaktareale zwischen den baltischen und ostseefinnischen Sprachen – in Nordwestlivland – fixiert sind und deren Wurzeln zumindest hypothetisch im Estnischen zu suchen wären.kors EH I 629 in Salis ‘ein überdachter Raum über dem Ofenmund (vorzugsweise am Riegenofen) zum Abfangen von Feuerfunken’, zu dessen Herkunft (mit ?) die Bemerkung von J. Endzelīns hinzugefugt wurde: zu kurs? (ME II 325 kurs 1) die Heizstelle in der Küche .. 2) ein Ofen voll Holz .. 3) das Heizmaterial.. 4) das Feuerherd, das Feuer .. Zu kurt). Die Herkunft von kors ist allem Anschein nach nicht in Bezug auf kurs zu suchen, da in den livischcn Mundarten bei Wörtern baltischer Herkunft, also auch Wörtern mit dieser Wurzel- kurt, kurēties, kurināt, kuriķis u. a. – der Lautwechsel u > o nicht zu beobachten ist (er kommt wohl ziemlich oft in entlehnten Wörtern vor, z.B. kanika – konika – kunika ‘dicke Brotscheibe, ein Stück Brot’, porga – purga ‘ein Fischfanggerät zum Erschrecken von Fischen’, konna – kunna ‘Wiesenfrosch’ u. a.). Am glaubwürdigsten erscheint, dass dem Wort kors das im Wied. 346 verzeichnete esta, kori ‘Vertiefung vor der Ofenmündung’ zugrunde liegt, das der Entlehnung phonetisch und mit einzelnen Modifikationen auch semantisch entspricht.ķīzika(s) 1. ‘Eingeweide der Tiere’; 2. ‘eine Reihe von Gegenständen’; aufgezeichnet in einer der Mundarten Nordwestlivlands – in Jeri; im ME/EH nicht verzeichnet. Es könnte vermutlich einen Bezug auf die im Wied. 438 s. v. kǖzik aufgeführte sekundäre Bedeutung ‘wie ein Bandwurm gestalteter Theil im Eingeweide des Kalbes’ (?) haben, die mit transformierter Semantik in die Entlehnermundart übernommen ist (wie ein Bandwurm gestalteter Teil im Eingeweide des Kalbes → Eingeweide des Tieres). Die weitere Bedeutung ‘eine Kette (von Gegenständen)’ könnte sich aufgrund der Ähnlichkeit (aus der Kette von Därmen) bereits in der Entlehnermundart selbst entwickelt haben.loīcka, loīcaks, loīcika ‘großer, langer, ungewandter, auch hässlicher Mensch’, aufgezeichnet in den livischen Mundarten Nordwestlivlands – in Limbaži, Vainiži, Vecate. Die Wörter sind auch im EH I 758 fixiert: loīcaks=loīcka 1 Lemsal; loīcika=loīcka 1 Alt–Ottenhof ; loīcka 1) eine große (und schmächtige) ungewandte weibliche Person Alt–Ottenhof, Lemsal; 2) eine schlecht gebundene Sense Alt–Ottenhof (ohne Angabe zur Herkunft des Wortes). Den Wörtern könnte estn. loikam ‘langer, magerer, schwerfälliger Mensch’ zugrunde liegen, das in Mundarten als ob mit dem Formans –c- umgewandelt ist (nach Analogie mit solchen Wörtern wie sloncka, ploncka, lęncka, žancka u. a.m.) sowie durch Kontaminierung mit weiteren Wörtern ähnlicher Bedeutung (z.B. loīzaks < loīcka + lamzaks). Hierzu gehören eigentlich auch die Ableitungen loīckāties ‘sich herumtreiben’ und loīckumis ‘laufend (zuweilen wankend, schwankend); hüpfend’.
DIE FORMIERUNG VON SPEZIFISCH MUNDARTLICHEN BEDEUTUNGEN DER PRÄFIXALEN VERBA IN NORDWESTLICHEN MUNDARTEN VON VIDZEMEZusammenfassungDie Formierung von spezifisch mundartlichen Bedeutungen der ...präfixalen Verba wird sowohl von allgemeinen Ursachen der Entwicklung und Veränderung der Wortbedeutungen, wie auch von mundartlichen Bedeutungseigentümlichkeiten der entsprechenden Wortbildungselementen verursacht. Die präfixalen Verba, die spezifisch mundartliche Bedeutungen haben, kann man – die Ursachen dieser Spezifik in Acht nehmend – in drei Gruppen einteilen:1) Verba, deren mundartliche Bedeutungen von mundartlichen Bedeutungseigentümlichkeiten des Präfixes verursacht sind, z. B., apliku kurpes ap skapi ‘habe die Schuhe unter Schrank gelegt’, apmêzis roĩdu apuž lâvu apužã ‘(er) hat das Kehricht unter Pritsche gekehrt’. In nordwestlichen Mundarten von Vidzeme hat das Präfix ap- in verbalen Zusammensetzungen eine mundartliche Bedeutung ‘unter etwas (z. B., unterlegen, unterschieben)’; präfixale Verba mit ap-, die eine solche Bedeutung haben, bilden eine bestimmte lexikalisch-semantische Gruppe;2) Verba, deren mundartliche Bedeutungen von mundartlichen Bedeutungseigentümlichkeiten des Stammverbums verursacht sind (die Bedeutungen von präfixalen Verba sind ja mit den Bedeutungen von Stammwörtern eng verbunden), z. B., gurt ‘sinken, einsinken’ (snieks i čagàne, kãjas gur̃st iekšã) und sagurt ‘zusammenfallen’ (gàn jàu sagur̃s sẽnes / vãroties/);3) Verba, deren mundartliche Bedeutungen als Resultat der Bedeutungsentwicklung des Derivates zu betrachten sind. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit allgemeinen Ursachen von semantischen Veränderungsprozessen (Bedeutungsübertragungen und -erweiterungen, Konkretisierung, Analogie u. s. w.), z. B., aizbilst ‘verwünschen’.
DYNAMIK EINIGER ENTLEHNTER LEXEME IN DEN MUNDARTEN NORDWESTLIVLANDS
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden einige in Nordwestlivland vorkommende entlehnte Lexeme finnougrischer Herkunft sowie ihre ...Semantik unter dem Aspekt des historischen Wandels behandelt. In der 2. Hälfte des 20. Jh. bietet sich durch die Erweiterung von mundartlichen Materialsammlungen die Möglichkeit, die in ME, EH und sonstigen Forschungen vorhandene Information sowohl zur Verbreitung, Stabilität und Wandel dieser Wörter als auch zu ihrer Herkunft, Semantik und den Gebrauchseigenschaften zu ergānzen.
Unter dem Aspekt der Gebrauchsdynamik von Entlehnungen im Laufe des 20. Jh. lässt sich feststellen, dass ein Teil der lokalen entlehnten Lexeme zu historischen Relikten geworden ist (z.B. aķis ‘Getreidehocke’, sāris, zāris ‘Insel; Hilgel’, ķiris ‘schwarzer Ochse mit weiflem Streifen überm Rücken’); ein anderer Teil mit relativ weitem bzw. engem Gebrauch setzt sein Funktionieren vorwiegend in der gesprochenen Sprache der älteren Generation fort (z.B. kãbaka, kābaks ‘armer, ärmlicher Mensch’; ‘geiziger, habgieriger Mensch’, paîkât ‘flicken’); ein weiterer Teil hingegen kommt auch heutzutage ziemlich oft in der gesprochenen Sprache verschiedener Generationen vor (z.B. roida ‘Schutt, Kehricht, Abfālle’, peksēt ‘schlagen; prugeln’, kunna ‘Wiesenfrosch’ u.a.).
Nach der Erweiterung von Materialsammlungen bietet sich die Möglichkeit, die bisherigen Herkunftsdeutungen der Wörter zu ergänzen und einige Hypothesen über die Relation mehrerer dialektaler Wörter Nordwestlivlands zum Estnischen bzw. Livischen aufzustellen.
ķil̂ts; der Vergleich kâ ķilts wird bei der Charakteristik eines abgemagerten Menschen oder Tieres gebraucht. Es kommt unter Ortsnamen vor (siehe Endzelīns LVV II 221; ohne Herkunftsangabe). Es wäre wohl auf das bei WiedWb 281–282 erwähnte kilt (= kild 2); kild ‘abgesprungenes, abgetheiltes Stuck, Splitter’ zu beziehen. Semantisch ist izdilis kâ ķil̃ts mit der analogen Konstruktion (tievs, izdilis) kâ skals zu vergleichen.
porumi, puromi; das Wort ist mit der Grundbedeutung ‘Schutt, Kehricht; Krümchen; Spreu’ aufgezeichnet worden, resp. auf etwas Kleines, Feines, Zerkleinertes u.dgl. zu beziehen. Dies lässt vermuten, dass nordwestlivländisches porumi, puromi mit estn. puru (siehe M ä g i s t e VII 2244 II puru ‘Krümchen, Staubkorn, Stäubchen’, ‘Schutt, Mull’) und puruma ‘zerbrechen, zerkleinern’ in Verbindung stehen könnte.
ķilputra, kilputra ‘aus dem Brotteig gekochter Brei’; ‘Grütze aus Roggenmehl’; siehe M ä g i s t e III 824 II kile ‘saurer Haferbrei’ + putra ‘Brei’.
Bei einem Teil der entlehnten Lexeme kann die Herkunft mit der Kontamination Zusammenhängen: siehe narcaka, narcaks + grabažas > narkažas, narbažas ‘alte, abgetragene Sachen, abgenutzte Gegenstände; Lappen’; porumi, puromi + -akas (lancakas, poncakas ’alte, abgetragene Kleider, Kleidungsstücke, Fetzen’) > porakas ‘Schutt, Splitter, Reisig, Kehricht’.
TENDENZEN DER BEDEUTUNGSENTWICKLUNG VON LOKALEN ENTLEHNUNGEN IN DEN MUNDARTEN NORDWESTLIVLANDS (Entlehnungen aus den ostseefinnischen Sprachen) Zusammenfassung Bei den meisten lokalen Entlehnungen ...ist nach ihrem Eintritt und Adaptierung in der Rede der Mundartträger auch eine Weiterentwicklung der semantischen Struktur zu beobachten. Die Bedeutungserweiterung und Bildung sekundärer Bedeutungen trifft man bei in einem relativ breiterem Areal gebräuchlichen Entlehnungen, zumeist solchen, wo auch die Entlehnungsquelle ein polysemisches bzw. zur Polysemie tendiertes Wort ist. Die Bedeutungsentwicklung ist sowohl mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Polysemie (z.B., mit Bedeutungsübertragung: koska ,(verdorrte) Baumrinde; abgerissene Tannenrinde' -> ,Schale von Beeren und Hülsenfrüchten; Kornschale' -> ,vertrocknete Schicht auf der Oberfläche eines Stoffes; Kruste; Schorf' -> ,Haut (des Tieres)'; topsis ,kleines, auch altes Gefäß (aus Blech, Ton oder einem anderen Stoff)' -> ,ein Gericht - Klumpen aus Erbsen und Hanf' -> ,ein Gewächs' -> ,dicker, stämmiger Mensch') und der Einfügung von Wörtern in die Entwicklungsmodelle der semantischen Struktur, welche in der Entlehnersprache vorhanden sind, als auch mit Aktualisierung der konnotativen Elemente verbunden, derzufolge die entlehnten Lexeme emotional-expressive Färbung oder eine Gebrauchseinschränkung erfahren (z. B. magāt ,schlafen' -humorvolle bzw. ironische Färbung oder aber Gebrauch in Konversation mit Kindern). Bei Charakterisierung der semantischen Entwicklung von lokalen Entlehnungen soll auch der Umstand beachtet werden, daß diese Entwicklung der Spezifik der mündlichen Kommunikationsform ausgesetzt und mit Eigenartigkeiten der individuellen Auffassung und Äußerung der Mundartträger sowie verschiedenen extralinguistischen Umständen verbunden ist. Demzufolge können auch die semantischen Grenzen der Entlehnungen ungefähr werden, durch Kontamination auf verschiedenen Ebenen, darunter auch durch semantische Kontamination, hervorgerufene Erscheinungen zum Ausdruck kommen.