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Celotno besedilo
  • Beweisverbote zum Schutz em...
    Gless, Sabine

    Neue Kriminalpolitik, 2020, Letnik: 32, Številka: 3
    Journal Article

    Sind Forschungsdaten der empirischen Kriminalitätsforschung vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden geschützt? Diese Frage erhält durch einen Beschlagnahmebeschluss des OLG München vom 23. Januar 2020 neue Aktualität (s. unten A.I.). Antworten auf der Grundlage des geltenden Rechts - einerseits §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 2, 97 Abs. 5 StPO (s. unten B.I.1.) und andererseits §§ 136, 136a StPO (s. unten B.I.2.) - bieten zwar behelfsmäßige Lösungen, aber ein klares Bekenntnis des Gesetzgebers zu robusten Bedingungen für empirische Sozialforschung fehlt und in der Praxis drohen Schutzlücken. Dadurch geraten empirische Sozialforscher, die sowohl durch Gesetz als auch durch wissenschaftsethische Vorgaben zur Geheimhaltung verpflichtet sein können, in ein Dilemma, dessen Auflösung im geltenden Recht die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte im Lichte der Forschungsfreiheit leisten müssten (vgl. unten B.II.). Initiativen zur Etablierung eines spezifischen Zeugnisverweigerungsrechts für empirische Sozialforscher und entsprechende Beschlagnahmeverbote scheiterten bisher am politischen Willen (s. unten A.II.). Das steht augenscheinlich im Widerspruch zu dem Wunsch nach belastbaren Ergebnissen empirischer Kriminalitätserforschung als Voraussetzung evidenzbasierter Kriminalpolitik und birgt Konfliktpotential, insbesondere mit dem Ausbau datenschutzrechtlicher Vorgaben für die Forschung und damit verbundener Vertraulichkeitszusagen. Sollte die Gesellschaft in der Zukunft die Erfüllung politischer Versprechen im Bereich der Kriminalpolitik an einer Zahlenbasis messen wollen, ist sie darauf angewiesen, dass der Gesetzgeber die Bedingungen dafür schafft. Der Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf Daten aus empirischer Kriminalitätsforschung muss explizit im Sinne der Forschungsfreiheit beschränkt werden. Do scientists have to hand over research data from empirical research on delinquency? A decision of the OLG Munich (23 January 2020, see A.I. below) highlights an issue which is yet to be resolved in the German criminal justice system. Although some legal protection is provided under § 53 para. 1 and § 97 para. 5 of the German Code of Criminal Procedure (CCP, see B.I.1. below) on the one hand, and § 136 para 1 and § 136a para 3 CCP (see B.I.2. below) on the other these makeshift solutions fall short in practice. What is required is a clear commitment by the legislature to robust conditions for empirical research. Otherwise researchers, bound to secrecy by law as well as by scientific-ethical guidelines, find themselves in a dilemma that ought to be resolved by law in favor of their freedom of research (see B.II. below). Initiatives to establish a specific privilege for empirical data coming from criminological researchers have, however, so far failed (see below A.II.). This contradicts the wish for empirical crime research as a prerequisite for evidence-based criminal policy. If society wants to be able to measure the keeping of political promises in the field of crime policy on the basis of empirical research, it is necessary that the legislature creates appropriate conditions, among them the stipulation of obligations to protect crime research data from law enforcement and prosecution.